Stadteingangsschild
© Robert Arnold

Im Rückspiegel die Zukunft | Grüße aus Gröditz: Ein Gemeinschaftsprojekt der Stadt mit Ausstellung, Konzerten und Lesungen

Zum 31. Dezember 2021 legte der Gröditzer Ortschronist Paul Naymslik seine Tätigkeit in altersbedingt nieder womit der 1. Januar 2022 ein Tag gewesen ist, an dem die Ereignisse und Geschichten der Stadt zwar wie gewohnt stattfanden, es aber erstmalig niemanden mehr gab, der sie aufspürte, festhielt und ihnen ihren Platz gab.

Unter dem Motto „Hinhören, Zuhören, Gehört werden“ haben Bürger*innen und Künstler*innen über Monate hin-weg die Stadt Gröditz erkundet. Im Zeitraum von Juni bis Dezember 2023 ist in Werkstätten, Workshops und Stadtexplorationen ein Kaleidoskop von Klängen, Geschichten und Bildern entstanden, das die Stadtgeschichte auf einzigartige Weise erfahren lässt.

Inspiriert von der 2021 beendeten Chronik von Paul Namyslik lud die Abteilung Outreach und Gesellschaft im Rahmen des Gröditzer Weihnachtsmarkt vom 1. bis zum 3. Dezember dazu ein, in einer Ausstellung mit Klangperformance und drei Lesungen die eigene Stadt wiederzuentdecken. Parallel zum Weihnachtsmarkt wurden gemeinsam vergangene, gegenwärtige und zukünftige Geschichten der Stadt zum Klingen gebracht, Postkarten mit Grüßen aus Gröditz versendet und im Austausch Erinnerungen geteilt.

Film

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Im Rückspiegel die Zukunft | Grüße aus Gröditz

Programmrückblick

Stadtfragmente – eine Klanginstallation von Carina Pesch

Wie nähert sich eine Fremde einer unbekannten Stadt?

Die Soundkünstlerin Carina Pesch wählt für ihre Arbeit den scheinbar simplen Ansatz: Sie geht mit spazieren – alleine und mit Menschen, die dort leben. Sie spricht mit möglichst vielen verschiedenen Menschen, die den Ort kennen. Sie besucht Orte, wo Menschen zusammenkommen, arbeiten und ihre Zeit verbringen. Sie hört zu. Sie nimmt auf. Sie sammelt. Sie setzt neu zusammen. Und sie kreiert ein begehbares Labyrinth aus den gesammelten Tonfragmenten. Sie lässt Platz nehmen, lädt zum Lauschen ein und verleitet dazu zuzuhören; der Gröditzer Jugend, dem Chor, den Senior*innen sowie vielen weiteren Stimmen, die alle einen ganz eigenen Blickwinkel auf Gröditz haben. Im Zusammenspiel von gefundenen Gegenständen, Bildern der Stadt (Video: Robert Arnold) und Klängen, lässt sich in der Mehrkanalinstallation die Stadt – aus dem Blickwinkel einer ortsunkundigen Künstlerin – wiederfinden und neu erfahren.

Ort: alte Scheune, Dreiseithof

über die Künstlerin

Carina Pesch (*1983) studierte Ethnologie, Politikwissenschaften und Philosophie in Leipzig und Beirut. Sie arbeitet als Klang- und Stimmkünstlerin, Autorin, Regisseurin und Kuratorin in den Bereichen Radio, Komposition, Installation, Performance und Walking Arts für Rundfunk, Museen, internationale Festivals und Kulturinstitutionen. Sie ist Co-Kuratorin der GERÄUSCHKULISSE – ein Forum für alle, die gute Geschichten und immersive Klangwelten lieben. Sie gibt Workshops und Seminare in den Bereichen Narration, Radio, Sound, Interviews, Soundwalks und Stimmimprovisationstechniken für Universitäten, Freie Radios und Kulturinstitutionen. Ihre Arbeiten wurden mit zahlreichen Residenzen, Stipendien, Nominierungen und Preisen ausgezeichnet

Die Glocken von Gröditz – eine Klangperformance von Anna Schimkat

Kirchenglocken haben das Leben als akustisches Element geprägt, sei es als Gebetsruf, Sturmwarnung, Zeitmesser oder Friedenssymbol. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden über 3.000 Bronzeglocken in Sachsen eingeschmolzen, um Waffen herzustellen. Die ersten Glocken in der evangelischen Kirche von Gröditz wurden 1891 aufgehängt, 1917 wieder eingeschmolzen und 1927 wiederum ersetzt. Dieser Prozess wiederholte sich 1942, wodurch ständig neue Klänge in den Glockenstuhl kamen. Seit 1997 bereichern zudem Glocken das Hotel „Spanischer Hof“, die speziell auf den Gesamtklang der Stadt abgestimmt sind.

In einer Gemeinschafts-Performance unter der Leitung der Künstlerin Anna Schimkat widmet sich die Klangperformance den Glocken von Gröditz, ihrer Geschichte und der von ihnen ausgehenden akustischen Mitgestaltung des öffentlichen Raums. In Zusammenarbeit mit dem Spanischen Hof, der Evangelischen Kirche, dem Fahrradverein Gröditz e.V., dem Trauerredner Sven Richter und zwei lokalen Musiker*innen (Janine Hauptvogel, Ralf Noack) wurden die Glocken von Gröditz Bestandteil und Protagonisten einer Gemeinschafts-Performance im Garten des Dreiseithofes.

Ort: Garten im Dreiseithof hinter der Scheune

über die Künstlerin

Anna Schimkat (*1974) betritt mit Klanginstallationen und Performances den Bereich der Klangkunst. Ob als Performance oder Installation, im jeweiligen Kontext betrachtet untersucht sie die Abläufe, Ursachen und Gesetzmäßigkeiten der natürlichen, gesellschaftlichen und kulturell geschaffenen Wirklichkeit. Im Speziellen interessiert sie sich für die bewusste Wahrnehmung von Klangräumen, die sie in einem multidisziplinären Ansatz bearbeitet. Spielerisch forschend und dem jeweiligen Konzept folgend werden das Klingen, Surren, Lärmen, Klacken, Stecken, Krachen, Brummen – der spezifischen Klang, die spezifische Form herausgefiltert.

Im Rückspiegel die Zukunft – Lesungen mit Chor

Zum 31. Dezember 2021 legte der Gröditzer Ortschronist Paul Namyslik seine Tätigkeit altersbedingt nieder. Der 1. Januar 2022 wurde damit zum ersten Tag, an dem die Ereignisse und Geschichten der Stadt zwar wie gewohnt stattfanden, es aber erstmalig niemanden mehr gab, der sie aufspürte, festhielt und ihnen ihren Platz gab.

Dieser entstandenen Leerstelle näherten sich die drei Autor*innen Ulrike Feibig, Tim Holland und Magdalena Schrefel schreibend an. Im Dialog mit der umfangreichen Hinterlassenschaft von Paul Namyslik wendeten sie sich spielerisch möglichen Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften der Stadt zu.

Die dabei entstandenen Texte mündeten in der titelgebenden Publikation und wurden gemeinsam mit Bürger*innen aus Gröditz und unter Flankierung des Frauenchors Gröditz im Rahmen der Ausstellung vorgetragen.

Lesung 1, „Verbindungen oder: Bilder eines Ortes in 9 Geschichten“

Magdalena Schrefel mit Enrico Münch, Gunther Wendt & Steffi Hubrich

Lesung 2, „Ich bin lieber zu erschöpft, als dass die Jacht nicht fertig wird“

Ulrike Feibig mit Petra Mißbach, Monika Lau & Isabella Baldermann

Lesung 3 „Von Wollnashörnern, Stahl und möglichen Zukünften“

Tim Holland mit Brigitte Fetzer, Gisela Margenfeld & Ilona Kautge

über die Autor*innen

Ulrike Feibig (* 1984) lebt und arbeitet in Leipzig als freie Dichterin, Performerin und Literaturvermittlerin, deren literarische Texte sowohl gedruckt erscheinen, als auch performativ auf die Bühne gebracht werden. Sie studierte Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut und Kunstvermittlung an der Universität Leipzig. Ihr Lyrik-Debüt erschien 2016 im poetenladen Verlag. Eine aktuelle Publikation, der Essay "Kap Lesung – Surfen entlang einer Stummheit", ist in der TRANSISTOR 5 – Zeitschrift für zeitgenössische Lyrik zu finden.

Magdalena Schrefel (*1984) studierte nach längeren Arbeitsaufenthalten in Vukovar und Göteborg an der Universität Wien Europäische Ethnologie sowie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie schreibt Erzählungen und Hörspiele sowie Theaterstücke, die bisher an Theatern in Österreich und Deutschland inszeniert wurden, mehrfach ausgezeichnet sind und auch in französischer und englischer Übersetzung vorliegen. Im Frühjahr 2022 erschien ihr Erzählband Brauchbare Menschen in der edition suhrkamp, der mit dem Robert-Walser-Preis ausgezeichnet wurde.

Tim Holland (*1987) lebt in Berlin. Er ist Autor, Literaturvermittler und Verleger. Im utopischen Langgedicht „wir zaudern, wir brennen“ (Matthes & Seitz Berlin 2022) untersucht er neue Formen des Zusammenlebens unter den Bedingungen eines sich verändernden Klimas. Die Texte wurden unter anderem mit dem ver.di Literaturpreis Berlin-Brandenburg 2022 ausgezeichnet und unter dem Titel „Die drei Jahreszeiten“ als kinetische Installation umgesetzt. 2023 erhielt er Aufenthaltsstipendien der Städte Hausach und Gelsenkirchen. 2022 veranstaltete er am Literarischen Colloquium Berlin mit Autor*innen eine „Unkonferenz zum Spekulativen Fabulieren“ und gab mit Lukas Dubro die SF-Anthologie "Kollaps und Hope Porn – 13 Zukunftsaussichten" heraus (Maro Verlag 2022). Seit 2017 führt er zusammen mit Tristan Marquardt und Hannes Munzinger den hochroth Verlag München.

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Fieldrecordingworkshops

Im Zeitraum von Juni – Juli fanden erste Fieldrecordingwokshops in Gröditz statt, bei denen Jugendliche als Stadtexpert*innen fungierten und die Künstlerin Cornelia Friederike Müller und den Verein Geräuschkulisse durch die Stadt führten und deren persönliche akustischen Hotspots der Stadt präsentierten.Im Rahmen der Workshops wurde die Kunst des Hinhören vermittelt, gemeinsam die Klangvielfalt des Ortes entdeckt und dabei der Umgang mit Tonaufnahmetechnik geschult. Die Workshops entstanden in Kooperation mit der Diakonie Meißen und der Oberschule Siegfried Richter.

über die Künstler*innen

Geräuschkulisse e.V. hat sich zum Ziel gesetzt ein lebendiges Forum für alle, die gerne Lauschen, zu sein und engagiert sich für den Erhalt und die Verbreitung von Hörstücken – egal ob dokumentarisch oder fiktiv, ob Hörspiel, Feature oder Klangkunst. Die akustischen Literaturformen bereichern sich gegenseitig und den Horizont ihrer Hörerinnen und Hörer. Der Verein möchte Hörer*innen und die Macher*innen von Hörstücken zusammenbringen, Vernetzung, Austausch, die Weiterbildung und den Nachwuchs fördern.

Cornelia Friederike Müller aka CFM ist bildende Künstlerin und Soundkünstlerin, sie lebt und arbeitet in Leipzig. Seit 2002 ist sie Akteurin des Leipziger Netzwerks propellas/caramba!rec, welches in verschiedenen Veranstaltungsreihen hauptsächlich weiblichen Künstlern und Musikerinnen eine Plattform bietet. Sie hält regelmäßig Workshops und Vorträge über die Wirkung von Klängen und Geräuschen, denen sie sich innerhalb ihrer Soundarbeit “The Daily Noise” widmet. Das Hörspiel „Die Sicherheit einer geschlossenen Fahrgastzelle“, wofür CFM die Musik komponierte, erhielt 2010 den Deutschen Hörspielpreis, den Hörspielpreis der Kriegsblinden, den Slabbezs Preis, sowie den Online Award der ARD. Im November 2018 wurde sie für den Sächsischen Staatspreis für Design in der Kategorie Sound Design nominiert.

Aktive Orte

Das Projekt findet statt im Rahmen des Outreach-Programm „Aktive Orte“ der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Die Staatlichen Kunstsammlungen erweitern mit Outreach-Programmen ihr Engagement in den ländlichen Räumen. Aufbauend auf den Erlebnissen, Impulsen und Visionen aus dem Programm „180 Ideen für Sachsen“ entstehen im aktuellen Programm Aktive Orte Projekte, die den Fokus auf Gemeinschaft und Vielfalt, aktive Mitgestaltung und Formen des Zusammenlebens legen. Das Projekt wird im Rahmen von „Museen als aktive Orte der Demokratie“ durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien gefördert.

Förderer & Partner

BKM

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