Beutekunst aus der Dresdner Porzellansammlung in der Ukraine 1947

Im Zweiten Weltkrieg wurden die Bestände der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft Dresden zum Schutz vor Kriegseinwirkungen in verschiedene Depots außerhalb der Stadt ausgelagert. Im Mai 1945, unmittelbar nach Kriegsende, nahmen Trophäenbrigaden der Roten Armee die Suche nach diesen ausgelagerten Schätzen auf. Vom Sammelpunkt Schloss Pillnitz wurden die aufgefundenen Kunstwerke ab Juli 1945 als Kompensation für die von deutscher Seite verursachten Kriegsschäden in die Sowjetunion verbracht. So gelangte Kunstgut aus Dresden u.a. in das Puschkinmuseum in Moskau, in die Eremitage in Leningrad und in das Museum für östliche und westliche Kunst in Kiew (Anm. 1).

Die von deutscher Seite verursachten Kriegsverluste der ukrainischen Museen waren so hoch, dass die Ukrainische Sowjetrepublik unabhängig von den Moskauer Einheiten zusätzlich eigene Trophäenbrigaden in Deutschland einsetzte. Ohne Absprache mit dem Kunstkomitee in Moskau wurden Kunstwerke aus Berlin und Dresden direkt nach Kiew verlagert (Anm. 2). Im Zentralen Staatlichen Archiv der Ukraine in Kiew (CDAVO) sind die Akten mit Übernahmen der in Dresden und Sachsen tätigen, ukrainischen Trophäenbrigaden erhalten (Anm. 3). 

Abb. 1

Das „Inventarverzeichnis der vom Ministerrat der Ukrainischen SSR aus Trophäenlagern in Deutschland erhaltenen Güter - angefangen am 6. Januar 1947, abgeschlossen am 22. Mai 1947“ (CDAVO, f. 5118, op. 1, spr. 161) beinhaltet u.a. detaillierte Listen zu beschlagnahmten Werken der Dresdner Porzellansammlung. Nach der Bestätigung über die Ankunft von 63 Dresdner Porzellanen im Februar 1947, die „in 18 Holzkisten mit intakten Schlössern“ verpackt waren und dem Staatlichen Museum für Ukrainische Kunst in Kiew zugeteilt wurden, folgt der Hinweis, dass im März 1947 eine weitere, wohl fehlgeleitete Kiste mit Porzellan dem Museum überlassen wurde. In der Kiste befanden sich 28 Porzellane, davon sieben beschädigt.

Titelblatt und Schreiben über den Erhalt der Dresdner Porzellane vom 6.2.1947, CDAVO, f. 5118, op. 1, spr. 161, Bl. 1
© Zentrales Staatliches Archiv der Ukraine in Kiew (CDAVO)
Titelblatt und Schreiben über den Erhalt der Dresdner Porzellane vom 6.2.1947, CDAVO, f. 5118, op. 1, spr. 161, Bl. 1

Abb. 2

Im April 1947 wurde aus diesen beiden Konvoluten eine Gesamtliste erstellt. In sieben Spalten werden die laufende Nummer, Beschreibung, Größe, Marke und alte Nummer eines jeden Stückes festgehalten sowie der Zustand und Preis. Anhand der in Spalte 5 aufgeführten alten, d.h. historischen Nummern lässt sich eine genaue Zuordnung zu Werken der Dresdner Porzellansammlung vornehmen: Die auf Blatt 2/3 unter der laufenden Nummer 9 aufgeführte Nummernkombination aus römischer und arabischer Zahl - hier III 370 - verweist auf den Bestand des Dresdner Hausmarschallamtes, das eines der bis 1918 existierenden Ämter des sächsischen Hofes war. 

Auflistung der Dresdner Porzellane vom 10.4.1947, CDAVO, f. 5118, op. 1, spr. 161, Bl. 2-3
© Zentrales Staatliches Archiv der Ukraine in Kiew (CDAVO)
Auflistung der Dresdner Porzellane vom 10.4.1947, CDAVO, f. 5118, op. 1, spr. 161, Bl. 2-3

Abb. 3

Bei der unter der laufenden Nummer 11 aufgeführten arabischen Zahl „483“ handelt es sich um eine Palaisnummer, die das Werk als Teil der historischen Sammlung Augusts des Starken und Augusts III. im Japanischen Palais ausweist. Waren auf einem Dresdner Porzellan beide historische Nummern vertreten, wurde dies in der Aufstellung (fälschlicherweise) kombiniert, so beispielsweise unter der laufenden Nummer 12 bis 16. Bei „357-III-234“ entspricht „357“ der Palaisnummer, „III 234“ der Hausmarschallamtsnummer.

Dresdner Hausmarschallamtsnummer III 370 (PE 224) und Palaisnummer N 483 (PE 5241) mit zentralem AR (Augustus Rex, ligiert) und weiteren historischen Markierungen aus Kiew um 1947
© Staatliche Kunstsammlungen Dresden/ Porzellansammlung
Dresdner Hausmarschallamtsnummer III 370 (PE 224) und Palaisnummer N 483 (PE 5241) mit zentralem AR (Augustus Rex, ligiert) und weiteren historischen Markierungen aus Kiew um 1947

Anm.

Das zuerst übernommene Konvolut (Nr. 1 bis 63) besteht überwiegend aus Meissner Vasen und ostasiatischem Porzellan sowie aus einigen wenigen Meissner Figuren. Das zweite Konvolut (Nr. 64 bis 89), der zusätzlich aufgetauchten Kiste, umfasst ausschließlich Schalen aus dem Service mit dem Roten Drachen-Dekor, alle mit einem Durchmesser von 40 bis 42,5 cm und ohne historische Inventarnummern. Ob diese Schalen zum alten Bestand der Porzellansammlung gehörten oder aus einer anderen Beschlagnahme stammen, lässt sich zur Zeit nicht klären.

Nach dem Abgleich der in der Kiewer Liste genannten 63 Porzellane mit dem aktuellen Dresdner Bestand ist erfreulicherweise festzustellen, dass nahezu alle der 1947 in Kiew beschriebenen Werke bei der Rückgabeaktion aus der Sowjetunion 1958 nach Dresden zurückgekommen sind. Die sichere Identifizierung der Werke im heutigen Bestand ermöglichte zudem die Entschlüsselung von verschiedenen, bisher nicht zuordenbaren, historischen Markierungen auf Porzellan. 

Ergänzung Beutekunst

© Staatliche Kunstsammlungen Dresden/ Porzellansammlung
Einige der aus Kiew 1958 nach Dresden zurückgekehrten Porzellane: PO 1010, PE 2174, PE 1525, PE 2027 a, PE 461, PE 658, PE 3921 PO 5176

Text

Die vollständige Transkription der Liste mit den identifizierten Porzellanen im Bestand der Porzellansammlung, historischen Inventarnummern aus Dresden und Kiew sowie Abbildungen ist hier zu finden. 

Barbara Bechter

 

Anmerkungen:
1. Barbara Bechter, Irrläufer in der Dresdner Porzellansammlung – Fehlzuweisungen bei der Rückkehr aus der Sowjetunion 1958, in: transfer – Zeitschrift für Provenienzforschung und Sammlungsgeschichte, Bd. 3 (2024).
2. Konstantin Akinscha / Grigori Koslow / Sylvia Hochfield, Beutekunst. Auf Schatzsuche in russischen Geheimdepots, München 1995, S. 158-159. 
3. Besonderer Dank gilt meiner Kollegin Olena Kouros, Dresden/Kiew für die wertvolle Hilfe bei der Zurverfügungstellung dieser Akte sowie ihr und Olga Pflaum, Dresden, für die Übersetzung der wesentlichen Teile.

Zum Seitenanfang