
Biografie William Kentridge
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Biografie William Kentridge
28. April 1955 Geboren in Johannesburg in eine Familie mit jüdisch-litauischen Wurzeln. Sein Vater, Sydney Kentridge (*1922) und seine Mutter Felicia, geb. Geffen (1930–2015), setzen sich als Rechtsanwälte für die Rechte der unterdrückten Schwarzen Bevölkerung während des Apartheidregimes ein (u.a. Verteidigung der Angeklagten im Treason Trial 1956–1961, Verteidigung der drei späteren Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela, Desmond Tutu und Albert Luthuli, Vertretung der Familie Steve Bikos (1946–1977), Gründung des Legal Resources Centre 1979).
1961–1967 Besuch der King Edward VII Preparatory School in Houghton, Johannesburg, wo Kentridge zum ersten Mal mit Kohle zeichnet.
1974 Nach einem kurzen Studium der Bildenden Kunst an der University of the Witwatersrand (Wits) in Johannesburg, wechselt Kentridge zu Politik- und Afrikawissenschaften.
1976–1978 Parallel zum Studium an der Wits University studiert Kentridge Kunst an der Johannesburg Art Foundation bei Bill Ainslie (1934–1989), Maler, Aktivist und Begründer der ersten und lange Zeit einzigen multiethnischen Kunstschule in Südafrika.
Zwischen 1975 und 1991 betätigt sich Kentridge als Schauspieler, Regisseur, Szenograf und Plakatgestalter für die Junction Avenue Theatre Company, die er selbst mitgegründet hat. Er beteiligt sich an Anti-Apartheid-Aktivitäten.
1979 Erste Einzelausstellung mit einer Serie von Monotypien (bekannt als The Pit) in der Market Gallery, Johannesburg.
1981 Studiert für ein Semester Schauspiel an der École Internationale de Théâtre Jacques Lecoq in Paris.
1982 Kentridge heiratet die Rheumatologin Anne Stanwix.
1984 Nach einer dreijährigen Schaffenspause als bildender Künstler erstellt Kentridge den Kurzfilm Salestalk, der beim American Film Festival in New York ausgezeichnet wird.
1986 Er produziert seinen ersten Animationsfilm Vetkoek/Fête Galante.
1989 Johannesburg, 2nd Greatest City after Paris ist der erste Animationsfilm der Reihe Drawings for Projection. Bis 2020 folgen zehn weitere Filme dieser Reihe, in der wichtige Aspekte der Geschichte und Gegenwart Südafrikas rund um die Protagonisten Soho Eckstein und Felix Teitlebaum thematisiert werden: Monument (1990), Mine (1991), Sobriety, Obesity & Growing Old (1991), Felix in Exile (1994), History of the Main Complaint (1996), Weighing and Wanting (1998), Tide Table (2003), Other Faces (2011), City Deep (2020). Alle Filme entstehen auf Basis von großformatigen Kohlezeichnungen, die Kentridge stetig weiterbearbeitet.
1992 Konzeption und Regie der Puppentheaterproduktion Woyzeck on the Highveld, in Zusammenarbeit mit der Handspring Puppet Company, Kapstadt. Er realisiert gemeinsam mit Deborah Bell and Robert Hodgins die Computeranimation Easing the Passing (of the Hours).
26.–29. April 1994 Der African National Congress (ANC) unter der Führung Nelson Mandelas gewinnt die ersten allgemeinen und freien Wahlen in Südafrika. Die neue Übergangsverfassung beendet das Apartheidregime.
1994 Erste Einzelausstellung in der Goodman Gallery, Johannesburg: William Kentridge: Felix in Exile.
1995 Konzeption und Regie des Theaterstücks Faustus in Africa!, das erneut in Kooperation mit der Handspring Puppet Company entsteht und im September beim Kunstfest Weimar international uraufgeführt wird. 30 Jahre später, im September 2025, kehrt das Stück zum Kunstfest Weimar zurück.
1996 Teilnahme an der Gruppenausstellung Colours: Contemporary Art from South Africa, kuratiert von Alfons Hug und Sabine Vogel im Haus der Kulturen der Welt in Berlin.
1997 Als dritte Kooperation mit der Handspring Puppet Company entsteht Ubu & the Truth Commission, in der sichKentridge kritisch mit dem Versuch auseinandersetzt, die Apartheid-Ära im Rahmen der 1996 gegründeten Truth and Reconciliation Commission (Wahrheits- und Versöhnungskommission) gesellschaftlich aufzuarbeiten. Parallel dazu entsteht der Film Ubu Tells the Truth und die gleichnamige Grafikfolge. Teilnahme an der Kasseler documenta 10, kuratiert von Catherine David, mit den Filmen Felix in Exile (1994) und History of the Main Complaint (1996). Weitere Einladungen zur documenta folgen 2002 und 2012.
1998 Die erste europäische Einzelausstellung findet im Palais des Beaux Arts in Brüssel statt, kuratiert von Carolyn Christov-Bakargiev. Sie wird im Anschluss auch in München, Barcelona, London, Marseille und Graz gezeigt. Gemeinsam mit der Handspring Puppet Company Adaption der Oper Il Ritorno d’Ulisse von Claudio Monteverdi für das Puppentheater. The Drawing Center in New York zeigt die Einzelausstellung Drawings for Projection.
1999 Der Film Shadow Procession entsteht; eine der ersten Arbeiten Kentridges, in denen Prozessionen von Menschen eine wichtige Rolle spielen. Das Thema wird er im Laufe der Jahre immer wieder aufgreifen.
2001 Im Garten seines Hauses im Johannesburger Bezirk Houghton entsteht ein neues Studiogebäude. Beteiligung an der Gruppenausstellung The Short Century: Independence and Liberation Movements in Africa 1945–1994, kuratiert von Okwui Enwezor in der Villa Stuck in München. Eine große Einzelausstellung wird nach der Erstpräsentation im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington, D.C. auch in New York, Chicago, Houston, Los Angeles sowie in Kapstadt gezeigt (Kurator:innen Neal Benezra, Staci Boris, Dan Cameron).
2002 Auf der documenta 11, kuratiert von Okwui Enwezor, präsentiert Kentridge die Filminstallation Zeno Writing, die Schattentheater mit animierten Zeichnungen und dokumentarischem Filmmaterial kombiniert.
2003 Es entstehen die Neunkanal-Filminstallation 7 Fragments for Georges Méliès, Day for Night und Journey to the Moon sowie in Vorbereitung seiner Inszenierung von Die Zauberflöte der Film Learning the Flute. Verleihung des Kaiserrings – Kunstpreis der Stadt Goslar.
2005 Inszenierung der Oper Die Zauberflöte an der Opéra de la Monnaie in Brüssel. In den folgenden Jahren wird Kentridge regelmäßig für Opernhäuser und Festivals weltweit inszenieren. Für das Deutsche Guggenheim Berlin entwickelt er die mechanische Miniaturbühne Black Box / Chambre Noire – eine Auseinandersetzung mit dem von deutschen Soldaten verübten Völkermord an den Herero 1904–1907 in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Beteiligung an der Ausstellung The Experience of Art, kuratiert im Rahmen der 51. Biennale in Venedig von María de Corral.
2008 Im Rahmen der Recherche für die Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs Oper Die Nase beschäftigt Kentridge sich ausgiebig mit der Kultur und Politik der frühen Sowjetunion als Beispiel einer utopischen Vision, die sich ins Gegenteil verkehrt. In diesem Zusammenhang entsteht die Achtkanal-Videoinstallation I am not me, the horse is not mine über die sogenannten »Säuberungen« der Stalin-Ära.
2009 Die große Überblicksausstellung Five Themes (Konzeption Mark Rosenthal) ist im San Francisco Museum of Modern Art zu sehen und wandert anschließend über mehrere Kontinente, mit Stationen in Fort Worth, West Palm Beach, New York, Paris, Wien, Jerusalem, Moskau und Melbourne. Die erste Folge der Drawing Lessons entsteht – Filme, in denen Kentridge mit seinem Doppelgänger über Kunst spricht. Dieses Konzept wird er in der ab 2020 entstehenden Filmserie Self-Portrait as a Coffee-Pot noch einmal aufgreifen.
2010 Kentridge eröffnet ein zweites Studio für die Herstellung größerer skulpturaler Objekte in Maboneng, einem Bezirk im Zentrum von Johannesburg. Er inszeniert Dmitri Schostakowitschs Oper Die Nase für die Metropolitan Opera, New York. In Zusammenarbeit mit Philip Miller, Dada Masilo, Catherine Meyburgh und Peter Galison entsteht das Theaterstück Refuse the Hour (Premiere 2011 im Market Theatre in Johannesburg). Auszeichnung mit dem Kyoto-Peis der Inamori Foundation. Verleihung der Ehrendoktorwürde durch das Royal College of Art, London.
2012 Im Rahmen der Charles Eliot Norton Professur für Poesie hält Kentridge an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts) sechs Vorträge unter dem Titel Six Drawing Lessons. Bei der documenta 13, kuratiert von Carolyn Christov-Bakargiev, wird die Fünfkanal-Installation The Refusal of Time gezeigt. Beteiligung an der Gruppenausstellung Rise and Fall of Apartheid: Photography and the Bureaucracy of Everyday Life, kuratiert von Okwui Enwezor (International Centre of Photography, New York, und Haus der Kunst, München).
2014 Zu Franz Schuberts Liederzyklus Die Winterreise (1827) entwickelt Kentridge eine Filmprojektion, die der Live-Aufführung von Matthias Goerne (Gesang) und Markus Hinterhäuser (Klavier) eine visuelle Ebene hinzufügt (Premiere beim Festival d’Aix-en-Provence, anschließend Aufführungen in Italien, Singapur, Luxemburg, New York, Paris).
2015 Auf Einladung des Eye-Filmmuseums Amsterdam und der Projektions-Biennale Lichtsicht in Bad Rothenfelde realisiert Kentridge die Achtkanal-Filminstallation More Sweetly Play the Dance. Auch die Dreikanal-Filminstallation Notes Towards a Model Opera entsteht in diesem Jahr. Alban Bergs Oper Lulu in der Inszenierung von William Kentridge feiert in De Nationale Opera in Amsterdam Premiere und ist anschließend in Opernhäusern in New York, London und Rom zu sehen. Beteiligung an der Ausstellung All the World’s Futures, kuratiert im Rahmen der 56. Biennale in Venedig von Okwui Enwezor. Als erneute Auseinandersetzung mit dem gescheiterten utopischen Experiment der Sowjetunion zeigt Kentridge auf der von Carolyn Christov-Bakargiev kuratierten 14. Istanbul Biennale die Fünfkanal-Videoinstallation O Sentimental Machine.
2016 Kentridge entwickelt Triumphs and Laments, einen 500 Meter langen Monumentalfries an einer Kaimauer am Tiber in Rom. Zur Eröffnung findet eine Performance in Zusammenarbeit mit den Komponisten Philip Miller und Thuthuka Sibisi statt. Gemeinsam mit Bronwyn Lace gründet Kentridge im Johannesburger Bezirk Maboneng das Kulturzentrum The Centre for the Less Good Idea zur Förderung von experimentellen, kollaborativen und interdisziplinären künstlerischen Projekten. Einzelausstellung NO IT IS! im Martin-Gropius-Bau, Berlin, kuratiert von Wulf Herzogenrath. Die Ausstellung Thick Time wird in der Whitechapel Gallery in London gezeigt (Kuratorin Iwona Blazwick) und wandert anschließend nach Salzburg, Humlebaek bei Kopenhagen und Manchester.
2017 Für die Salzburger Festspiele inszeniert er Alban Bergs Oper Wozzeck. Die Inszenierung ist später auch in New York, Sydney, Toronto und Paris zu sehen. Kentridge wird der spanische Princess of Asturias Award for the Arts zugesprochen.
2018 Kentridges Beschäftigung mit der zum Teil erzwungenen Beteiligung von Afrikanern auf Seiten europäischer Kolonialmächte im Ersten Weltkrieg mündet in die Kammeroper The Head & the Load (Komponisten Philip Miller und Thuthuka Sibisi, Premiere in der Tate Modern in London, anschließende Aufführungen bei der Ruhrtriennale in Duisburg, der Park Avenue Armory in New York, beim Holland Festival in Amsterdam und im Joburg Theatre in Johannesburg).
2019 Die Kammeroper Waiting for the Sibyl entsteht in Zusammenarbeit mit den Komponisten Nhlanhla Mahlangu and Kyle Shepherd (Premiere im Teatro dell’Opera di Roma, anschließend unter anderem in Luxemburg (2021), New York (2022) und Recklinghausen (2022).
2020 In der Covid-19-Pandemie beginnt Kentridge eine Serie von kurzen Filmen über seine künstlerische Arbeit, die 2024 unter dem Titel Self-Portrait as a Coffee Pot veröffentlicht wird.
2021 Kentridge wird als assoziiertes ausländisches Mitglied in die Académie des Beaux Arts, Paris, gewählt.
2022 Premiere des Films Oh to Believe in Another World zur Begleitung einer Live-Aufführung von Dmitri Schostakowitschs 10. Sinfonie durch das Luzerner Sinfonieorchester unter dem Dirigat von Michael Sanderling. Große Retrospektive Kentridges in der Royal Academy of Arts, London (Kurator Adrian Locke); anschließend im Taipei Fine Arts Museum.
2024 Premiere der Filmserie Self-Portrait as a Coffee-Pot im Arsenale Institute for Politics of Representation in Venedig, parallel zur 60. Biennale. Die in Kooperation mit The Centre for the Less Good Idea entstandene Kammeroper The Great Yes, The Great No wird im Juli erstmals in der LUMA Foundation Arles im Rahmen des Festival d’Aix-en-Provence aufgeführt. Im Rahmen der Slade Lectures an der Oxford University hält Kentridge sechs Vorträge unter dem Titel A Natural History of the Studio. Im November Verleihung des Internationalen Folkwang-Preises durch den Folkwang-Museumsverein in Essen.
2025 Einzelausstellung The Pull of Gravity im Yorkshire Sculpture Park, West Bretton. Anlässlich des 70. Geburtstags von William Kentridge organisieren die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und das Museum Folkwang in Essen gemeinsam die große Doppelausstellung Listen to the Echo.
Biografie erschienen in: William Kentridge. Listen to the Echo, Herausgeber: Museum Folkwang Essen und Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 272 Seiten, ISBN 978-3-96999-476-4, Erscheinungsdatum 26.09.2025, Buchhandel: 38 €