Einladung zum Pressegespräch | Puppentheatersammlung erhält Schenkung von zwei Marionetten: Liebespaar von Roland Ritscher
13. August 2020Einladung zum Pressegespräch mit Fototermin am Dienstag, den 18. August 2020, 10 Uhr im Museum für Sächsische Volkskunst mit Puppentheatersammlung, Jägerhof
Die Puppentheatersammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erhält eine Schenkung von zwei Marionetten durch den Verein Freunde der Puppentheatersammlung Dresden e. V. Das Liebespaar aus der Szene „Liebesidylle in Kairo“ von Roland Ritscher kommt aus Privatbesitz. Die ursprünglich mit Jazzmusik hinterlegte Szene entstand vermutlich zwischen 1910–1920.
Die Figuren stammen wahrscheinlich aus Florian Billes Theater, der 1938 Teile seines Theaters an Walter Ritscher, den Vater von Roland Ritscher, verkaufte. Die Geschichte der Puppenspielerfamilie Ritscher lässt sich bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen. Der Theatergehilfe Ernst Ritscher (1853–1943) heiratete in die älteste Puppenspielerfamilie Sachsens, Listner-Lippold, ein. Als Familiensitz wählte er Bielatal in der Sächsischen Schweiz. Sein Enkelsohn Walter (1905–1963) gründete nach der Hochzeit mit Martha Großmann (1906–1986) im Jahre 1932 eine eigene Marionettenbühne, die hauptsächlich im Elbtal und der Lausitz reiste. Da keine familieneigene Bühne zur Verfügung stand, musste er sich alles selbst anfertigen. Er schrieb die Texte, malte die Kulissen und Versatzstücke und fertigte die Bühne, die Marionettenkörper und die Requisiten an. Seine Frau Martha nähte alle Kostüme. Die Hände und Köpfe der Marionetten wurden bei guten Schnitzern in Auftrag gegeben.
Das Theater überstand die Verbotswellen der 1950er-Jahre mit nur wenigen Modernisierungen in der Lausitz. Nach Walters Tod übernahm sein Sohn Roland (1931–2005) die Bühne und wurde Lizenzträger. Als die Bühne ab 1981 wieder in das Elbtal kam, wurde die Öffentlichkeit auf diese aufmerksam. Es entstanden eine Foto- und zwei Filmdokumentationen. Das Publikum war von der traditionellen Spielweise der Bühne begeistert. Mit dem Tod von Martha Ritscher wurde der Spielbetrieb 1986 eingestellt. Roland Ritscher zeigte noch einige Jahre sein Marionettenvarieté, bevor er auch dieses aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste.
Roland Ritscher übergab das Theater 2003 nahezu vollständig in die Puppentheatersammlung der SKD. Ein großer Teil wurde mit Unterstützung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Freistaat Sachsen, der Ostsächsischen Sparkasse Dresden und dem MSU (Freunde der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden e. V.) erworben. Der Fundus umfasst mehr als 2000 Einzelteile: neben der Bühne und umfangreichem Bühnenzubehör auch 70 Marionetten, dazu weitere 33 Marionettenkörper und 54 Marionettenköpfe, 51 Flachfiguren, etwa 250 Bühnenbildteile, um 1000 Kostümteile, über 50 Perücken für Marionetten, über 400 Requisiten und etwa 190 Theatertexte.
Etwa 500 weitere Teile des Bühnenfundus kamen nach dem Tod von Roland Ritscher als Schenkung von dessen Tochter in die Sammlung, darunter auch der Packwagen der Bühne mit sämtlichem Inhalt: Theaterkostüme und Alltagskleidung von Roland Ritscher und seiner Mutter, zahlreiche Werbezettel und Theaterplakate, 140 Schallplatten, die bei Theateraufführungen verwendet wurden, sowie weitere Bühnenbildteile und Marionettenkostüme.
Bereits 1968 hatte die Puppentheatersammlung eine Laterna Magica mit über 500 Zubehörteilen aus dem Marionettentheater von Max Ritscher, dem Großvater von Roland Ritscher, erworben, der ebenfalls eine eigene Marionettenbühne besaß. Von allen Theatern der Ritscher-Familie wurden Theaterzettel und Werbeplakate während derer gesamter Spielzeit gesammelt.
Die beiden Marionetten-Neuzugänge sind sehr gut erhalten und in dieser Art einzigartig im Theaterfundus von Roland Ritscher. Damit sind sie eine Bereicherung zur Vervollständigung der Bühne. Eine derartig vollständige Übernahme eines Marionettentheaters in ein Museum ist selten, wenn nicht einzigartig in der Museumslandschaft. Sie ermöglicht die Abbildung des Lebens auf und hinter der Bühne eines Wandermarionettentheaters, die im 19. Jahrhundert im mitteleuropäischen Raum zu einer Blüte kamen und in großer Zahl vertreten waren. Das Marionettentheater von Roland Ritscher war einer der letzten Vertreter dieser Theaterform, die heute nahezu ausgestorben ist.