Giambologna 3
Neben der zeitlichen Einordnung ist das Material der Skulpturen ein wichtiges Indiz bei der Ermittlung des Schöpfers. Sie sind aus Alabaster geschnitten, einem Material, das in der Renaissance in Florenz, trotz reicher Vorkommen im nahen Volterra, nicht für Skulptur verwendet wurde. Die Steinbrüche in Carrara lieferten erstklassigen Marmor, sodass die Florentiner Bildhauer kein Interesse am weichen und überaus empfindlichen Alabaster hatten. Im Norden Europas hingegen erfreute sich Alabaster großer Beliebtheit, weshalb nur ein niederländischer Künstler als Schöpfer in Frage kommt.
Die Dresdner Statuetten gehören zu den frühesten der bekannten Nachbildungen der Tageszeiten der Medici-Kapelle. Sie waren keine Modelle zu Studienzwecken, sondern sind autonome Kunstwerke, ja Kunstkammerstücke. Trotz des kleinen Formats besticht die große Qualität der Figuren, deren sinnliche Modellierung und monumentale Wirkung den berühmten Vorbildern mehr als gerecht werden. Die Komplettierung jener Partien, die von Michelangelo unfertig hinterlassen wurden, etwa der Kopf des Tages, sowie die Erfindung von Attributen, auf die der große Florentiner bewusst verzichtet hatte, zeugen überdies von einem ausgesprochen selbstbewussten Künstler, der mit seinen Versionen Michelangelos Skulpturen nicht nur „vollendete“, sondern auch „verbesserte“.
In der Ausstellung wird die Auffassung vertreten, dass die „Dresdner Tageszeiten“ vom jungen Giambologna am Beginn seiner Florentiner Karriere geschaffen wurden. Tatsächlich ist es so, dass man das Werk des Flamen erst durch seine Auseinandersetzung mit Michelangelo begreifen kann, die in seinem späteren Œuvre allerdings so subtil vor sich geht, dass man ihr bisher kaum Aufmerksamkeit gewidmet hat. Im Unterschied zu seinen italienischen Kollegen, die sich kaum aus dem Schatten Michelangelos lösen konnten, gelang es Giambologna, das übermächtige Vorbild kreativ zu überwinden. Was es bedeutete, aus diesem übermächtigen Schatten zu treten, thematisiert die Ausstellung.
Die Ausstellung im Semperbau vereint rund 70 Exponate, darunter kostbare Leihgaben aus dem Prado in Madrid, dem Rijksmuseum in Amsterdam, der Fondation Custodia / Collection Frits Lugt in Paris und aus bedeutenden internationalen Privatsammlungen. Darüber hinaus bereichern Objekte aus der Galerie Neue Meister, der Gemäldegalerie Alte Meister, dem Grünen Gewölbe, der Kunstbibliothek, dem Kupferstich-Kabinett und dem Münzkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden die Präsentation.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Sprache im Hirmer Verlag, der Giambolognas weitgehend unbekanntes Frühwerk und seine Auseinandersetzung mit Michelangelo anschaulich und reich bebildert vorstellt. Herausgeber: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, mit Beiträgen von Claudia Kryza-Gersch, Raphael Rosenberg, Aleksandra Lipińska, Frits Scholten, Marion Heisterberg, 264 Seiten, ca. 180 Abbildungen in Farbe, Buchhandel: 39,90 €. ISBN: 978-3-7774-3146-8.