Das Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erwirbt elf Scherenschnitte von Philipp Otto Runge
19. September 2023Das Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erwirbt elf Scherenschnitte von Philipp Otto Runge
Dank der großzügigen Unterstützung mehrerer Förderer ist auf der diesjährigen Sommerauktion bei Grisebach in Berlin eine herausragende Erwerbung für das Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) gelungen.
Durch beträchtliche Fördersummen der Ernst von Siemens Kunststiftung, der HERMANN REEMTSMA STIFTUNG, der Rudolf-August Oetker-Stiftung, dem Verein der Freunde des Kupferstich-Kabinetts Dresden e.V., von privaten Förderern sowie aus Eigenmitteln der SKD wurde der Ankauf einer Gruppe von elf Scherenschnitten des berühmten norddeutschen Romantikers Philipp Otto Runge (1777–1810) möglich. Runge hatte sie der eng befreundeten und für die Hamburger Kunstszene der Zeit bedeutenden Familie Johannes Michael Speckter (1764–1845) geschenkt.
Anlässlich der Auktion kam ein Bestand an Werken der Brüder Erwin und Otto Speckter und ihrer Künstlerfreunde zum Verkauf. Dieser war geschlossen im Nachlass eines Familienzweiges bewahrt worden. Dabei haben sich die Scherenschnitte so erhalten, wie Runge sie einst übergeben hatte: Während man sonst die Arbeiten meist später aufgeklebt hat, wurden sie hier lose zwischen Pappkartonbögen gelegt. Durch diese „Beweglichkeit“ bleibt der lebendige Charakter der kleinen Papierobjekte besser erfahrbar.
Mit der Erwerbung gelingt es, eine schmerzliche Lücke im Sammlungsbestand zu schließen. Trotz seiner hohen Relevanz für die Dresdner Romantik war Runges Schaffen im Bestand der SKD kaum repräsentiert. Das Kupferstich-Kabinett besaß bisher lediglich ein kleinformatiges Selbstbildnis aus der Porträtsammlung Carl Christian Vogel von Vogelstein sowie den für das gesamte Schaffen des Künstlers programmatischen Grafikzyklus der „Zeiten“, bei dem Ornamente aus der Pflanzenwelt ins Zentrum seines Verständnisses von Landschaftskunst treten.
Der aus Wolgast in Mecklenburg-Vorpommern stammende Runge hatte sich für eine nur kurze, aber für seine künstlerische Entwicklung prägende Zeit zwischen 1801 und 1804 in Dresden aufgehalten. In diese Phase fielen seine Bekanntschaft mit dem Schriftsteller Ludwig Tieck und dem Naturphilosophen Heinrich Steffens sowie der wegweisende Austausch mit Johann Wolfgang von Goethe. Zuvor hatte Runge in Greifswald Caspar David Friedrich erstmals getroffen. In Dresden konnte er an diese wichtige Begegnung anknüpfen. Zu Friedrichs Landschaftsauffassung bildet jene von Runge einen eigenständigen Gegenpart.
Runges Scherenschnitte lassen sich gleichsam als Grundbaustein seines Bilddenkens beschreiben. Der Künstler geht der Schönheit der Pflanzen in ihren vielfältigen Formen nach und verfolgt dabei die Architektur ihrer organischen Bildungsgesetze. Ausgehend von exakter Naturbeobachtung unterwirft der Scherenschnitt die Naturform einem Abstraktionsprozess. Die Pflanze als Grundbaustein der Natur wird bei Runge zum Gleichnis eines göttlichen Schöpfungsplanes.
Eine erste Anleitung zum Scherenschnitt erhielt er im Alter von elf Jahren von seiner älteren Schwester. Aus der Silhouettenmode der Zeit heraus hatte sich diese Technik zu einer beliebten Beschäftigung für Mußestunden entwickelt. Runge erreichte darin eine enorme Virtuosität und praktizierte sie sein ganzes Künstlerleben hindurch. Immer wieder zitiert wird, wie er den Wunsch äußert, er könnte mit Pinsel und Stift so leichthin arbeiten wie mit der Schere, die ihm wie eine „Verlängerung seiner Finger“ erschiene. So entstanden viele dieser kleinen dekorativen Kunstwerke, etliche mit erzählerischen Motiven oder Porträts, vor allem aber Blumen, die er der Familie und Freunden zum Geschenk machte.
Die neu erworbenen Arbeiten werden in Dresden erstmals im Rahmen der großen Sonderausstellung „Caspar David Friedrich. Wo alles begann“ (Albertinum 24.08.2024 – 05.01.2025; Kupferstich-Kabinett, Residenzschloss 24.08. – 17.11.2024) anlässlich des 250. Geburtstages von Caspar David Friedrichs zu sehen sein.