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Die kunst- und kulturgeschichtlichen, ethnologischen, archäologischen oder handwerklichen Bestände enzyklopädischer Museen verleihen den Sammlungen eine vielschichtige historische Tiefe und können als Vokabular der Weltgesellschaft gelten. Die auf historische Denkmäler, Schulen und Bibliotheken abzielende Kriegsführung in verschiedenen Regionen der Welt und die einhergehende Zerstörung von Kulturgut oblegen enzyklopädischen Museen eine besondere Aufgabe als offenes Archiv der Weltkulturen. Dank ihrer kompendienhaften Bestände können solche Institutionen komplexe geistige Zusammenhänge Europas und der Welt eindrücklicher thematisieren und sie einem breiten und internationalen Publikum vermitteln. James Cuno, Präsident des J. Paul Getty Trust, unterstreicht die Verpflichtung dieser Museen, zur Förderung des kulturellen Austauschs beizutragen:
"By presenting the artifacts of one time and one culture next to those of other times and cultures, encyclopedic museums encourage curiosity about the world and its many peoples. They also promote a cosmopolitan worldview, as opposed to a nationalist concept of cultural identity. In an era of globalization that is nonetheless marked by resurgent nationalism and sectarianism, antiquities and their history should not be used to stoke such narrow identities. Instead, they should express the guiding principles of the world's great museums: pluralism, diversity, and the idea that culture shouldn't stop at borders-and nor, for that matter, should the cosmopolitan ideals represented by encyclopedic museums."
(Culture War. By: Cuno, James, Foreign Affairs, 00157120, Nov/Dec2014, Vol. 93, Issue 6)
Die Kunstkammern als Vorläufer und die oftmals aus ihnen hervorgegangenen enzyklopädischen Museen dienten lange Zeit als Ort der Weltanschauung in einem wörtlichen Sinne, wenn nicht als führende Modelle der Weltaneignung. Zeitgleich zur zunehmenden Wichtigkeit des enzyklopädischen Denkens während der Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert und dem Streben nach Struktur und Architektur des Wissens, wurden Sammlungen strenger in öffentliche Spezialmuseen aufgeteilt. Für die großen enzyklopädischen Museen geht es heute erneut darum, kritisch zu prüfen, wie das Wissen über ihre Sammlungen generiert wurde und wird, welcher Taxonomie diese Sammlungen unterworfen sind, aus welchem Kontext die Sammlungsstücke stammen und unter welchen Bedingungen sie in die Bestände gelangt sind, oder wie Geschichten um die Objekte herum rekonstruiert werden und welche Sicht auf die Welt ihre Präsentationen vorgeben. Die musealen Institutionen schaffen nicht nur Wissen und Kultur, sondern auch Identitäten. Besonders in Zeiten, wo Nationalismus zunimmt und die Toleranz gegenüber anderen Kulturkreisen schwindet, werden dieses Bewusstsein und dessen Vermittlung umso wichtiger. Während des Symposiums sollen Themen und Begriffe wie beispielsweise "postfaktisches Zeitalter", "Autonomie und Gedankenfreiheit", "wessen Erbe?", oder "das Museum als Schutzraum" kontrovers diskutiert werden. Zum Symposium Die Rolle enzyklopädischer Museen in politisch komplexen Zeiten (in Europa) sprechen internationale MuseumsdirektorInnen. Als Vertreter weltweit herausragender kunst- und kulturgeschichtlicher Sammlungen bietet ihre Teilnahme die nötige Tiefe und Vielfalt für den wissenschaftlichen Diskurs. Gleichzeitig tragen die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmenden dazu bei, die eigene Position kritisch zu hinterfragen, so dass das Symposium zu einem offenen und kritischen Diskurs zur Rolle enzyklopädischer Museen beiträgt. Matthew Teitelbaum, Direktor des Museum of Fine Arts in Boston, übernimmt die Moderation der Konferenz.